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Von den kleinen Freuden und den großen Sorgen

Photo by Quin Stevenson on Unsplash
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Dingdadidadum...

Mein Wecker läutet, pünktlich um 5 vor halbsechs.

Ich verziehe das Gesicht und taste schlaftrunken nach der Quelle des nervigen Geräuschs, meinem Handy. Da, auf dem Nachtkästchen. Es ist noch viel zu früh.

Ich stelle die Melodie, die ich ursprünglich einmal als schön und harmonisch empfunden habe, die aber wie auch alle meine früheren Handywecker viel zu schnell zur Hassmelodie geworden ist, ab.

Noch fünf Minuten.

Ich drehe mich wieder um, kuschle mich in mein weiches Kissen und die warme Decke und blende die Welt um mich herum aus.

 

 

Dingdadidadum…

Ich seufze. Erneut stelle ich den Wecker ab, der mich so unsanft aus dem Schlaf gerissen hat. Dann quäle ich mich aus dem Bett, taste nach dem Türgriff und gehe die paar Schritte hinaus ins Vorhaus, das bereits hell erleuchtet ist, da Mama ebenfalls schon aufgestanden ist.

Im Badezimmerspiegel blicke ich einer Person mit geröteten Augen, Augenringen und zerzaustem Haar entgegen. Die Nacht war viel zu kurz. Ich drehe den Wasserhahn auf und wasche mir mit kaltem Wasser die Reste der Nacht vom Gesicht. Dann ziehe ich unmotiviert meinen Pyjama aus, die Kleidung an und drehe meinen Radio auf.

Aber nicht zu laut, denn sonst könnte mein Bruder im Nebenzimmer wach werden.

„Hier sind Kathi und Christian am Morgen, schön, dass ihr mit uns aufsteht. Es ist fünf nach halbsechs und die nächste halbe Stunde halten wir die größten Hits für euch bereit! Jetzt starten wir gleich rein mit „Thunder“ von den Imagine Dragons. Einen schönen guten Morgen!“

In der halben Stunde, in der ich also „die größten Hits“ höre, schminke ich mich, mache mir eine Frisur und putze mir die Zähne. Um kurz nach sechs bin ich bereit, hinunterzugehen und einen Bissen zu frühstücken. Nach ein paar gewechselten Worten am Frühstückstisch gehe ich hinauf, hole mein Zeug und verabschiede mich schließlich.

Lasset den Schultag beginnen.

 

Immer wieder dasselbe.

Jeder Tag scheint nach dem gleichen Muster abzulaufen.

Es beginnt bereits mit der morgendlichen Routine, darauf folgen der immer gleiche Stundenplan, die immer gleichen Leute, die immer gleichen Gespräche.

Alles so vorhersehbar.

Kein Wunder, dass die Motivation nachlässt und man sich an manchen Tagen viel lieber im Bett verkriechen würde, als sich dem Alltäglichen zu stellen.

Noch dazu sind da immer wieder dieselben Sorgen, die einen so durch den Tag begleiten… Sorgen, die eigentlich ohnehin unbegründet sind, weil sie keine wirklichen Sorgen sind, sondern nur irgendwelche Kleinigkeiten, die eben gerade nicht so angenehm sind oder eine Herausforderung für uns bedeuten.

Und doch erscheinen sie, wenn sie da sind, auf einmal riesengroß, werfen scheinbar alles Gute in den Schatten.

Generell könnte man zu dem Schluss kommen, es gäbe gar nicht so viel, über das man sich tagtäglich freuen könnte… denn die Dinge, für die wir dankbar sein können, sind ja eigentlich schon selbstverständlich geworden. Warum sollen wir noch deswegen glücklich sein, dass unser Kühlschrank immer gut gefüllt ist? Wieso sollte es ein Grund zur Freude sein, ein Dach über dem Kopf zu haben und gesund zu sein? Weshalb sollte man sich über den großen Zusammenhalt in der eigenen Familie freuen – es war ja eh nie anders…?

Und so sind die wirklich glücklichen Momente selten und das Leben scheint ständig mit Sorgen und Problemen belastet.

Es ist also berechtigt, von den kleinen Freuden und den großen Sorgen zu sprechen.

 

Oder?

 

Nicht selten liest man irgendwo ein Sprichwort, das aussagt, man solle sich über das Alltägliche freuen, um wahres Glück im Leben zu finden.

Und obwohl wir – wenn wir das Leben wirklich ernst hinterfragen – wohl alle zugeben müssen, dass diese Aussage auf jeden Fall sehr weise und glaubwürdig ist, verfallen wir immer wieder den eben genannten Lügen.

Denn es muss wohl erst etwas richtig Schlimmes passieren – ein schwerer Schicksalsschlag oder irgendein gravierendes Ereignis – das uns unseren Alltag vermissen lässt.

Sind wir mit wirklichem Leid konfrontiert, lernen wir den Alltag mit all seinen klitzekleinen, unbedeutenden Sorgen erst zu schätzen. Und wir sehnen uns schmerzlich nach Momenten zurück, in denen die einzigen belastenden Gedanken welche waren wie „Was soll ich heute anziehen?“ oder „Ich habe den Regenschirm vergessen und es schüttet wie aus Eimern – wie soll ich es bloß bis zur Bushaltestelle schaffen?“

 

Ich kann von mir leider auch noch nicht wirklich behaupten, dass ich es schon geschafft hätte, viel mehr Freude im Alltag zu finden. Und doch wird mir immer wieder bewusst, wie wichtig es wäre, genau das zu tun. Gerade nach Tagen, an denen ich nur so dahingelebt habe – irgendwie ständig im „Überlebensmodus“ war und die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass die Minuten verstreichen – erkenne ich:

 

So, das war’s. Dieser Tag ist jetzt vorbei. Ich erlebe ihn nie wieder.

Denn KEIN Tag ist wie der andere, JEDER Tag ist einzigartig.

Es mag vielleicht die gleiche Morgenroutine sein, aber es sind andere Gedanken und Eindrücke, die ich dabei habe, es mag der immer gleiche Stundenplan sein, aber es sind immer andere Inhalte, die wir lernen, es können die gleichen Leute sein, aber doch sind es andere Begegnungen als zuvor, es mögen die gleichen Gesprächsthemen sein, und doch sind die Aussagen verschieden.

Und auch wenn es schwer ist... wäre es nicht viel schöner, irgendwann anstatt von den „kleinen Freuden und großen Sorgen“ von den „großen Freuden und kleinen Sorgen“ sprechen zu können?

 

Alles Liebe,

deine Johanna 

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